Beispiel Warschau
Warum geht die Verkehrswende in Berlin so langsam vorwärts? Warum fällt es so schwer, mehr Menschen mittels öffentlicher Verkehrsmittel, zu Fuß oder mit dem Rad statt mit einem PKW von A nach B zu bringen? Für mehr Gesundheit, Raum für die wichtigen motorisierten Fahrten, weniger CO2, weniger Lärm, mehr Sicherheit und weniger Stress für alle Menschen?
Gewöhnung, keine Einschränkungen und Verbote, hohe Kosten und träge Prozesse werden oft als Grund genannt. Auch die Scheu vor eventuellen Zumutungen beim Verringern von Erleichterungen für PKWs spielt eine Rolle.
Auf andere Städte wie Kopenhagen, Barcelona oder Groningen wird gern geblickt. Als Vorbild. Vor kurzem besuchten wir Warschau, keine Stadt, die in Sachen Verkehrswende besonders bekannt ist. Und festzustellen ist: Von Warschau kann Berlin manches lernen.
Denn Warschau startete eigentlich in einer schwierigeren Ausgangssituation in Sachen Autoverkehr. Die Stadt hat in wenigen Jahren sehr viel verändert und stellt sich nun in den Innenstadtbereichen komplett anders dar als noch vor wenigen Jahren.
Konsequent und kooperativ
Als wir vor 25 Jahren erstmals in Warschau waren, war die Stadt vollgestopft mit Verkehr. Staus, Brücken, überall geparkten PKWs. Von Jahr zu Jahr veränderte sich das Stadtbild.
Nun, mit vier Jahren Abstand zum letzten Besuch war der Wow-Effekt riesig: Die Innenstadt ist nicht nur tiptop modern, sondern auch voll auf die Verkehrswende eingestellt. Es gibt noch wenige Autos, aber die Zeiten vollgeparkter Stadtränder und vielspuriger Straßen durch das Zentrum sind vorbei. Stattdessen fahren noch wenige PKWs und LKWs hindurch, es gibt fantastische Radwege und breite Fußwege. Es wartet ein stabiles Leihsystem für Räder (und auch Roller, die hier nicht überall herumliegen) auf Besuchende und Einwohnende.
Kooperation statt Gegnerschaft
Die Radwege und die Fußwege kreuzen sich oft, mittels Zebrastreifen für die zu Fuß gehenden gekennzeichnet. Ein hohes Maß an Rücksicht und gegenseitigem Verständnis, höflich und klar, prägt das Miteinander der Fortbewegungsformen. Gefördert durch den Bau der Wege: Statt unklarer Markierungen z.B. vor Ampeln für Radfahrende, auf die Autofahrende oft aus Versehen fahren und damit für Unmut sorgen, gibt es eine klare Kennzeichnung und durchgängige Wegführungen. So kommt es durch eine intelligent gebaute Infrastruktur - mit genug Platz für Fußwege und Radwege - zu wenig Konflikten. Böhmermanns Lied "Warum hört der Fahrradweg hier einfach so auf" hätte kaum in Warschau entstanden sein können.
Wenig "Ideologie", mehr Pragmatismus
Die Radwege sind breit genug, die Autofahrenden meist rücksichtsvoll. Zebrastreifen und Parkverbote werden akzeptiert, Roller und Räder ordentlich abgestellt. Es gibt natürlich Autofans und Fahrradfans, Fußwegfans sowieso, aber wenig gegenseitige Ideologievorwürfe.
Auch die Außenbezirke werden immer besser per öffentlichem Nahverkehr und auch Radstrecken angebunden. Zum Beispiel wurde eine Brücke über die Weichsel nur für zu Fuß gehende und radfahrende Menschen gebaut, wie zum Beispiel in Kopenhagen. Und zwar in den Stadtteil Praga, so dass der Pendelverkehr tatsächlich erleichtert wird.
In Polen wird gern Auto gefahren, das ist auch unverkennbar. Und auch nachvollziehbar, vor allem in den ländlichen Regionen. Warschau hat es aber geschafft, eine hohe Akzeptanz für mehr Fußgängerbereiche, Radstrecken und Wohlfühlzonen zu schaffen. Etwa an der Weichsel wurde der Autoverkehr ein Stückweit unter die Erde verlagert und massiv verringert. Nun ist der Uferbereich eine Flaniermeile. ins Zentrum fahren kaum noch Menschen mit dem Auto, weil es ineffizienter ist als mit der Bahn oder dem Rad. Die Akzeptanz und Annahme der zahllosen (sehr netten) Cafés, Gaststätten und Geschäfte ist riesig, es sind viel mehr Menschen in der Stadt als früher. Und das gilt nicht nur für die Nowy Świat, sizusagen die Friedrichstraße Warschaus.
Berlins Schwesterstadt in Polen hat viel richtig gemacht und vielleicht lohnt sich ein Berliner Blick auf die Herangehensweise, die Offenheit der Menschen und die konkrete Umsetzung. Es muss nicht so lange dauern, Berlin.